Das Tier erscheint im Anthropozän

Animal fantasy als Teil der Literarischen Fantastik am Beispiel von Helmut Kraussers Die wilden Hunde von Pompeii

Von Ulf Abraham

1.  Kraussers Geschichte als Genremix und all-age-Fantastik

Von Genres zu sprechen, ist in Bezug auf die Literatur der Postmoderne nötiger denn je. Man muss sich nur darüber klar sein, dass es sich bei dem Gelände, das man mit solchen Genrebegriffen vermessen will, nicht um festes Land handelt, sondern eher um ein Gefüge von Eisschollen, die in Bewegung sind. Sie verschieben sich gegeneinander, zerbrechen in Teile, wer­den anderswo wieder zusammengeschoben und verschwinden, wenn sie zu klein sind, gelegentlich ganz. Ein Text, an dem man diese Dynamik der Überlagerung von Genres besonders gut zeigen kann, ist Helmut Kraussers Geschichte Die wilden Hunde von Pompeii (2004). Mit traditionellen Genrebegriffen, die statisch gedacht sind, kommt man dem Werk nicht bei; das hat Hans-Peter Ecker (2009) gezeigt. Lesen kann man den Text als „Abenteuergeschichte, Bildungs­roman, Entwicklungsroman, Fabel, Fantasygespinst, Kinderbuch, Legende, Meditation, Novelle, Parabel, Parodie, Phantastik, Rhapsodie, Sozialstudie, Tiergeschichte, Thriller, Tragikomödie oder als Vexierspiel“ (ebd., 198).

Nun sind die Gattungskonzepte, auf denen solche Zuordnungen beruhen (könnten), keine Schubladen, in die man die Werke steckt und damit erklärt hat, sondern lediglich „Werkzeuge“ (ebd.). Ein besonders produktives, im Kontext der Medienentwicklung des 20. Jahrhunderts wichtiges Werkzeug ist, wie Ecker ebenfalls zeigt, das medienübergreifende Genrekonzept des „Monomythos“, das Hollywoods Filmindustrie stark beeinflusst hat; Kraussers Figurenarsenal und Handlungsdesign lässt sich auf dieser Folie sehr überzeugend erklären. Vorliegender Beitrag möchte nun einer von Ecker nur am Rande aufgeworfenen Frage nachgehen, nämlich derjenigen der „Transponierung der Heldenerzählung ins Tiermilieu“ (ebd., 209). Das tangiert aus der oben zitierten Genreauswahl nicht nur die „Tiergeschichte“, sondern auch das „Fantasygespinst“, die „Phantastik“ und vor allem das „Kinderbuch“.

Auf den ersten Blick verweist das Tiermilieu in die Kinderliteratur. Und in der Tat ist Die wilden Hunde von Pompeii bislang Helmut Kraussers einziges Werk, das man in Leseempfehlungen für Kinder und Jugendliche finden kann. So empfiehlt die Datenbank Leseforum Bayern (http://www.leseforum.bayern.de/) den Text für „Jahrgangsstufe 6-10“, in den Fächern Deutsch und Latein: „Der fesselnde und unterhaltsame Roman quillt über von Ideen und Anspielungen und stellt die unterschiedlichsten Hundecharaktere und Menschen aus Pompeii vor“. Es wird verwiesen auf „Parallelen zum Bildungsroman, die ‛Aventiure’ von Parzival (jenseitsorientiert) und Gawan (diesseitsorientiert)“, auf „Kennzeichen der Fabel“, aber auch auf „sehr detaillierte Beobachtungen sozialer Verhaltensweisen und aktueller Probleme“, auf Rita Mae Browns „Katzenkrimis“, „eine Reihe unterhaltsamer und herzzerreißender Liebesgeschichten“ sowie „zahlreiche Anspielungen auf die römische Antike“, besonders Ovids Metamorphosen (ebd.).

Die ganze Fülle der intertextuellen Bezüge und symbolischen Lesarten auszuschöpfen, dürfte allerdings weder im Unterricht noch in diesem Beitrag möglich sein. Der Text, den Krausser scheinbar bescheiden, tatsächlich aber doppelsinnig eine Geschichte nennt, ist damit ein Musterbeispiel für das, was die Kinderliteratur­wissenschaft „Mehrfachadres­sierung“ (vgl. Bonacker [Hg.] 2004) nennt: Lernende der Jahrgangsstufen 5/6, für deren Deutsch- und Lateinunterricht das Buch bereits empfohlen wird, werden nicht alles erfassen können oder zu schätzen wissen; und erwachsene Leser/-innen, solche mit philologischer Bildung zumal, werden es aus teilweise anderen Gründen interessant finden. Genau das ist aber ein Kennzeichen guter Literatur für Kinder und Jugendliche. Das gilt besonders für die von allen Altersgruppen einschließlich der Erwachsenen geschätzte Literarische Fantastik, die der neueren Fachliteratur zufolge nicht ein historisches, v. a. der Romantik und dem 19. Jahrhundert zuzuordnendes „Genre“ ist, sondern ein die Literaturgeschichte seit der Antike durchziehender „Modus“ des Literarischen, das eine ganze Reihe dynamischer Genres ausgebildet hat (vgl. Abraham 2012, 42–49). Gestaltwandelgeschichten seit Ovid, Gefährdung der Ordnung durch Risse in der (Alltags-)Wirklichkeit, Durch- und Übergänge in andere Wirklichkeiten, Ich-Spaltungen und Verdoppelungen, Bewusst­seinserweiterung durch Drogen oder Zauberei und immer wieder Tierfiguren in verschiedenen (menschlichen, göttlichen, teuflischen) Funktionen und symbolischer Aufladung – all das bündelt Kraussers Geschichte wie ein Brennglas.

2. Tierfiguren in der Literatur

Ohne Tierfiguren bzw. -gestalten kommt nicht nur die Kinder- und Jugend­literatur (vgl. Bonacker [Hg.] 2011), sondern die Literatur überhaupt nicht aus. Das ist im Blick auf unterschiedlichste literarische Gattungen und Genres offensichtlich: Antike Mythen, (Volks-)Märchen, Fabeln, Abenteuer- und Reiseromane, Krimis und vor allem fantastische Werke der vergangenen zweihundert und Fantasy-Texte der letzten achtzig Jahre nehmen damit nicht nur immer wieder bewährte symbolische und allegorische Ausdrucksmöglichkeiten auf, sondern sie reflektieren eine anthropologische Grundtatsache: Der Mensch definiert sich wesentlich im Verhältnis zum Tier, ja: als Tier; „man‘s relation­ship with the rest of the animal kingdom strikes a deep chord of imaginative recognition in the human consciousness“, schreibt Ann Swinfen (1984, 12) in ihrer Verteidigung der Fantasy (In defense of fantasy). Intelligente sprechende Tiere („talking beasts“) nehmen ein langes Kapitel darin ein (vgl. ebd., 12–43). Die animal fantasy habe die Beschränkung der Fabel, in der Tiere “as human types or as the embodiment of simple human characteristics“ (ebd., 13) Verwendung fänden, längst überwunden. Bevölkern Tiere, etwa als Verwandlungsprodukte bei Ovid, seit der Antike die Literatur, so wird mit dem Erstarken der Literarischen Fantastik seit der Romantik ein Figurentypus häufiger, der tierische Identität mit menschlicher Denk- und Sprachfähigkeit paart. Und das ist nicht nur eine literaturgeschichtliche, sondern eine weit über die kulturelle Praxis Literatur hinausweisende Entwicklung: Je stärker der Mensch seine Gewohnheiten, Lebensbedingungen und auf die Ressourcen der Natur gerichteten Interessen über den Globus verbreitet und die Natur, die er vorfindet, verändert, desto mehr gewinnen in der Literatur und in anderen Künsten nicht-anthropozentrische Perspektiven an Interesse.

Ist E.T.A. Hoffmanns Kater Murr (1819/21) noch eher eine tierische persona für die Ansichten seines Schöpfers, so emanzipiert sich in der animal fantasy des 20. Jahrhunderts gleichsam das Tier – und mit ihm das Genre: Ist noch der vielleicht berühmteste Vorfahr der animal fantasy, A.A. Milnes Winnie the Pooh (1926), ein „Kinderbuch“, so hat die Absetzbewegung vom Kind als alleiniger ‛Ziel­gruppe’ schon begonnen: Bereits in Nils Holgersson nimmt Selma Lagerlöf 1907 eine „Vogelperspektive“ im wörtlichen Sinn auf den Menschen und seine Welt ein und öffnet damit den Horizont der Kinderliteratur. In der vom Menschen – von seiner Architektur und Logistik, seinem Raubbau, seinem Müll und seinem (mit Krausser gesagt) Kolmonox-Output – dominierten Welt setzt animal fantasy nicht mehr auf den Niedlichkeitsfaktor und hat auch nicht nur die Fabel-Funktion, menschliche Untugenden zu verkörpern. Sie kann die menschliche Kultur und Barbarei von einem grundsätzlich anderen Standpunkt aus beleuchten. Der Geologe Paul J. Crutzen hat vorgeschlagen, die Schreibung der Erdgeschichte um ein neues Zeitalter zu ergänzen, das Anthropozän, dessen Einsetzen um 1800 sich an Daten festmachen lasse (Entwicklung der Biomasse, des globalen Klimas, der Übersäuerung der Ozeane usw.): Erscheint – mit Max Frisch gesagt – der Mensch im Holozän, so das Tier als autonomer Protagonist im Anthropozän.

3. Die wilden Hunde von Pompeii als animal fantasy

Damit stehen Tierfiguren als Protagonisten in Interaktion mit Menschen und/oder mit anderen Tier(art)en ihrer literarischen Welt im Modus des Fantastischen, der ihnen höhere Intelligenz zuschreibt, für eine andere Sicht auf die Wirklichkeit und teilweise auch andere Grundwerte und Formen des Empfindens und Urteilens. Im Krimigenre schafft das, wie die Mrs. Murphy– und Sister Jane-Krimis der Rita Mae Brown oder die Wanzen-Krimis von Paul Shipton zeigen, interessante Möglichkeiten der Brechung genretypischer Schemata. Weit über ein einzelnes Genre hinaus macht aber der Reiz, den das Erzählen aus tierischer Perspektive hat, alte und neue Werke der animal fantasy zu Texten für praktisch alle „Zielgruppen“, wie James Stone (1980) am Beispiel eines wichtigen Referenztextes zeigt: „The Rabbitness of Watership Down“ ist von anthropologischem Interesse. Vom traditionellen Bilderbuch, das Tiere in Kleidung steckt und/oder auf andere Weise verniedlicht (etwa Beatrix Potter: The Tale of Peter Rabbit, 1902), entfernt sich ein solcher Umgang mit dem Tier im „all-ages-Genre“ (Bonacker 2007) der animal fantasy seit Richard Adams’ Klassiker immer weiter. Bereits bei Adams aber scheint nicht nur die Grausamkeit des Mythos und des Märchens auf, sondern auch die gedankliche Tradition des Staatsromans seit Thomas Morus, der ja ebenfalls wesentlich in die Geschichte der Literarischen Fantastik gehört (vgl. Abraham 2012, 74 f.): Es geht in Watership Down um Gesellschaftsmodelle und damit um politische Kategorien wie Macht und Herrschaft, letztlich um die philosophische Kategorie der besten Staatsform; das Werk ist eine „quest for the ideal community“ (Swinfen 1984, 41). Verhandelt wird das Schicksal der rabbitness.

Bei Krausser ist das, zwar mit einem Augenzwinkern, aber in durchaus blutigem Ernst, die Hundlichkeit (WH 13). Und das ist mehr als eine Verbeugung vor einem Klassiker des Genres; es ist die Erinnerung daran, dass Literatur sich der Tierfiguren seit jeher, und besonders ausgeprägt seit dem Entstehen der animal fantasy als crossover genre (Copeland 2003, 288) bedient hat, um die conditio humana zu verhandeln. Dass das Menschliche sich dabei im Tierischen zeigt, ist nur scheinbar ein Paradox. Während etwa Tierfiguren bei Kafka fast stets einen Außenseiterstatus haben und Tiergeschichten damit „Künstlergeschichten“ (vgl. Jagow/Jahraus 2008, 546) sind, zeigt die animal fantasy das Tier als Träger und Verteidiger aller Werte, die die Geschichte des Abendlandes überhaupt hervorbringen und (nicht) verteidigen konnte: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die Kaninchen bei Adams sind nicht nur bedroht von der Ausrottung durch Menschen, die Bauland gewinnen wollen und Gift auslegen, den Bau ausräuchern, Bulldozer einsetzen; sie sind auf ihrer Flucht ins Exil auch bedroht durch einen Diktator, der die rabbitness mit Füßen tritt, seine Untertanen versklavt und eine brutale SS-artige Spezialtruppe unterhält, die Abweichler foltert und Ausreißer wieder einfängt. Ähnlich brutal ist der Diktator Mandrake in einem Genreklassiker, nämlich in William Horwoods Maulwurfroman Duncton Wood von 1979 (Der Stein von Duncton, 1984). Das Mittsommerfest, das die Maulwürfe von Duncton seit Generationen an dem großen Stein feiern, den sie um seinen Segen bitten, lässt er bei Todesstrafe verbieten.

Kraussers Diktator Ferox, der (An-)Führer der „Besserwölfe“, steht deutlich in dieser Tradition. Anklänge an faschistische Machthaber sind auch hier unübersehbar: Ferox nennt die seinen, die er als eine bewusst herangezüchtete Elite versteht (vgl. WH 49 f. u. 53) die „Besserwölfe“, als deren gottgleiches Oberhaupt (vgl. WH 57) er sich fühlt. Das Blut der Mastinos, von denen er abstammt, verleiht ihm eine pseudo-arische Sonderstellung. Die minderwertige Rasse, von der die „Besserwölfe“ als die selbsternannten Beherrscher von Pompeii sich abheben sollen, sind die wilden Füchse. Sie sind die Juden, Roma und Sinti von Pompeii; wenn auch im weiteren Sinne zur Hundheit gehörig, haben sie Hundlichkeit nicht verdient:

Füchse sind im weitesten Sinne auch Hunde, werden aber von Hunden nicht wie solche behandelt. Sie genießen einen miserablen Ruf, riechen aufdringlich, gelten als schmutzig und tückisch, manche sollen eine Krankheit übertagen, die Tollwut genannt wird. Sie sind bevorzugt nachts unterwegs, lichtscheues Gesindel […] [WH 129 f.]

Füchse spielen in der animal fantasy diese Rolle schon länger: „Trau niemals einem Fuchs. Sieht aus wie ein Hund, verhält sich wie eine Katze“, warnt der Mentor des jungen Katers Sammy seinen Schützling in Erin Hunters erstem Warrior Cats-Roman (In die Wildnis, 89). Hunters Katzenclans sind ebenso wie Kraussers Hundebanden ausgesprochen xenophob. Das Motiv ist zentral auch in einem anderen Klassiker der animal fantasy, in Garry Kilworths genre­parodistischer Serie Gewiefte Wiesel: Die herrschenden Hermeline sehen auf die Wiesel herab, die sie zu versklaven versuchen. Die Wiesel wiederum teilen mit den Hermelinen die Ansicht, der Abschaum der Tierwelt seien die Ratten (vgl. z. B. Sucht die Donnereiche, 44).

Solche Genremerkmale, zumal wenn sie parodistisch pointiert werden, zeigen eine Paradoxie: Einerseits sehen Tiere als Protagonisten die Welt grundsätzlich anders und nehmen Menschen als Schädlinge wahr, andererseits verfallen sie im Versuch, im Rahmen eines literarischen Weltentwurfs eine Kultur auszubilden, in so gut wie alle Fehler, die Menschen je gemacht haben. Die Stammeskulturen der Hunde bei Krausser, der Katzen bei Hunter, der Hermeline bei Kilworth oder der Maulwürfe bei Horwood leiden an Herrschaft ohne Legitimation und Aus­grenzung des Anderen und Fremden, und zwar bis hin zur Selbstzerstörung ihrer Lebensgrundlagen.

4. Diskurse der literarischen Fantastik in Die wilden Hunde von Pompeii

Diese Paradoxie hat mit der Art zu tun, wie die Literarische Fantastik etwas über die Wirklichkeit zu sagen hat – auch oder gerade weil sie sie nicht wiedergeben will. Die Weigerung, sich an die Gegebenheiten, Normen, Konventionen und physika­lischen Gesetze der Realität zu halten, bedeutet nicht, dass es keine Beziehung zu dieser gäbe; eine solche wird vielmehr hergestellt über die Beteiligung an verschiedenen Diskurse, wie sie eine Gesellschaft im Alltag, in den Medien und in den Wissenschaften führt (vgl. Abraham 2012, 158–161).

Die von einer Kultur über die sie im Ganzen betreffenden strittigen Fragen geführten Diskurse zeichnen sich abstrakt gesagt aus durch

–         Serien ähnlicher Aussagen,

–         „Einschreibung“ durch deren Wiederholung,

–         Grenzen des Sagbaren (es gibt immer auch Tabus) und

–         ein „Archiv“, das u. a. literarische Texte enthält (vgl. Keller 2008, 136).

Das schließt Literatur jeder Art ein, ist aber doch (wie Krausser zeigt) für die Fantastik besonders spannend. Marianne Wünsch (1991, 62) kritisiert zu Recht, die bisherige Fantastik-Theorie habe ihren Gegenstand zu sehr isoliert und aus seinen historischen Kontexten herausgenommen. Aber diese Kritik, die sich auf ausgeblendete literatur- und geistesgeschichtliche Kontexte bezieht, greift noch zu kurz. Erst recht wurden meist sozial- und technikgeschichtliche Kontexte ausgeblendet, so als entstehe Literarische Fantastik im Anschluss an andere, schon vorliegende Fantastik, aber weithin ohne Bezug zur umgebenden Welt. Angewandt auf Kraussers Text, würde eine solche Betrachtungsweise zwar zulassen, das Ovid‘sche Motiv des Gestaltwandels zu erkennen („nichts behält seine Gestalt“ [WH 138]; „alles verwandelt sich“ [WH 209]) und weitere intertextuelle Anspielungen zu würdigen, aber es könnte nicht erkannt werden, dass ein fantastisches Werk Antworten auf Fragen wie die folgenden bereit hält (vgl. auch Abraham 2012, 159 f.):

1. Welche Formen der Teilhabe an Macht und politischer Entscheidung sind einer zunehmend komplexen Welt angemessen? Und wie gehen wir global mit Machthabern um, die scheindemokratisch Menschenrechte verletzen und sich dabei jede „Einmischung“ verbieten (politischer Diskurs)?

2. Wie vereinbaren wir die Werte unserer Kultur mit den immer wieder aufbrechenden Ressentiments gegen das Andere und Fremde und mit den dadurch besonders in den zwei Jahrzehnten um 2000 verbrämten sozialen Verteilungskämpfen (ethischer Diskurs)?

3. Wohin hat uns der „Prozess der Zivilisation“ (Norbert Elias) mit seiner Kultur des Triebverzichts geführt, wenn unter einer zivilisatorischen Oberfläche doch das Monströse lauert (psychologischer Diskurs)?

4. Wie können wir Vielfalt als Bereicherung (statt Heterogenität als Gefahr) erleben und gestalten, ohne die dann unvermeidlichen Konflikte zu scheuen? Wie das ‛Fremde’ integrieren, ohne das ‛Eigene’ aufzugeben (interkultureller Diskurs)?

5. Wie können wir kognitionswissenschaftlichen und lern-psychologischen Einsichten Rechnung tragen, denen zufolge Belehrung weitgehend sinnlos ist und Lernen eigentätig und selbstgesteuert sein sollte, wenn doch gleichzeitig die Globalisierung auch in der Bildung eine immer stärkere Steuerung erzwingt? Und was ist Meisterschaft (modisch gesagt: „Kompetenz“) als Ergebnis von Lernen und Aneignung (pädagogischer Diskurs)?

6. Wie können wir die Medien verantwortlich nutzen, ohne ständig der Ver­suchung zu erliegen, Wirklichkeit allzu selektiv darzustellen? Und was bedeutet es zu wissen, dass Medien und Kommunikationstechnologien unsere Wahrneh­mung formen (Medien-Diskurs)?

7. Wie können wir im 21. Jahrhunderts, da die uns umgebende „Natur“ immer mehr eine von uns bereits veränderte ist, noch von „Natur-Schutz“ sprechen? Und wie gehen wir mit den im zivilisatorischen Prozess unvermeidlichen Verteilungskämpfen um? (Zivilisations-Diskurs)?

Um das vorwegzunehmen: Die wilden Hunde von Pompeii mischen sich in alle sieben Diskurse ein, selbst (wenn auch nur beiläufig) in die beiden letzt­genannten.

Zu 1.: Die Machtfrage in der tierischen Bevölkerung der Ruinen von Pompeii bestimmt Handlung und Figurenkonstellation: Die Hunde rivalisieren nach außen mit den Füchsen und zerfallen im Inneren in zunächst zwei Gruppen (die Touristenschmarotzer und die Ferox-Anhänger), wobei sich im Lauf der Handlung eine eigenständige dritte Gruppe um Kaffeekanne und seinen Freund Saxo herausbildet. Ausdrücklich geht es immer wieder um Ressourcenverteilung und Bleiberechte; parodistisch wird damit ein zentrales Motiv der animal fantasy seit Watership Down verhandelt (vgl. v. a. Erin Hunters Warrior Cats-Romane). Das Streben nach Dominanz und Definitionsgewalt über die Situation vereinnahmt fast alle Akteure bei Krausser in einem solchen Ausmaß, dass sie die gleichsam globale Gefahr einer erneuten Vernichtung Pompeiis (durch einen vom Orakel vorhergesagten Vesuvausbruch) gar nicht wahrnehmen; nur Kaffeekanne, der durch sein abgespaltenes „totes Fünftel“ einen Draht zur Welt der Geisterhunde hat, weiß davon und kann die Welt (vorläufig) retten. Die dominanten „Besserwölfe“ dagegen sind besetzt vom Eigeninteresse des Machterhalts und würden, auf sich gestellt, vermutlich mit Pompeii untergehen. Wie andere tierische Herrscher in der animal fantasy, etwa die Hermeline in Garry Kilworths Thunder Oak (1997), verkörpern sie die zutiefst menschliche Möglichkeit der Herrschaft als bornierte Ausübung von Macht und Gewalt.

Zu 2.: Daneben kennt die animal fantasy auch die Idee der legitimen Herrschaft. Felix Saltens Bambi in dem gleichnamigen Buch von 1923, das durch Walt Disney zu Weltruhm kam, wächst als Rehkitz in dem Wald auf, über den sein Vater als „Prinz des Waldes“ herrscht. Bevor es dessen Nachfolge antreten kann, muss Bambi sich unterordnen, durch Schaden klug werden, durch Nachahmung und Beobachtung lernen, kurz: eine Sozialisation durchlaufen. Ähnlich, nur weniger betulich, stellt sich die Schule der Wildnis in Hunters Warrior Cats-Romanen dar: Im „DonnerClan“, der im Gegensatz zum diktatorisch regierten „SchattenClan“ eine Anführerin mit Legitimation und Autorität hat, gibt es wie in allen Clans ein Prinzip der Verteilung junger Katzen auf bewährte Krieger, die zu Mentoren ernannt werden. Diesen schuldet man absoluten Gehorsam (vgl. z. B. In die Wildnis, 49), und sie vermitteln nicht nur Kampftechniken, sondern das kulturel­le Gedächtnis des Clans und damit seine bewahrens- und verteidigenswerte Gruppenidentität. Der ehemalige Hauskater Sammy, eingeführt in dieses Gedächtnis, entdeckt sich neu: „Ich weiß jetzt, wer ich bin.“ (In die Wildnis, 144). Ähnlich geht es dem jungen Helden Bracken in Horwoods Der Stein von Duncton: Nach seiner Flucht aus dem Herrschaftsbereich des Diktators Mandrake trifft er auf den ebenfalls ins Exil gegangenen Ältesten Hulver, der ihn nicht nur Gelassenheit lehrt, sondern auch die uralten Lieder, mit denen Generationen den Stein angesungen haben. Die Verbundenheit mit der Geschichte gibt ihm die Kraft, die er für den Widerstand gegen den Gewalt­herrscher braucht.

Solche Aspekte der animal fantasy sind zum einen ein Beitrag zum pädagogischen Diskurs (vgl. weiter unten), zum andern berühren sie aber ein ethisches Problem: Es geht um die Weitergabe von Verantwortung für das Gemeinwesen und das Hintanstellen egoistischer Interessen, auch solcher der Selbsterhaltung: Beim Beutemachen dürfen Hunters Jäger-Katzen beispielsweise nicht fressen, bevor der Nahrungsvorrat für den Clan aufgefüllt ist. Dem jungen Kater Sammy fällt das schwer. Ebenso schwer tut sich der junge Maulwurf Bracken bei Horwood damit, dass er allein mit seinem Mentor Hulver, der zur Strafe dann prompt getötet wird, das Mittsommerfest feiern soll: Sie tun es für die Gemeinschaft, nicht für sich.

Auch dieses Thema schlägt Krausser an: Zunächst erhält der Welpe Kaffeekanne Unterricht beim alten Plin, dessen Gedächtnis nicht mehr das beste ist, aber im Prinzip zweitausend Jahre zurückreicht: Den Markplatz nennt er „Forum“ (WH 28); sein Name verweist auf Plinius den Älteren (ca. 23–79 n. Chr.), Historiker und Autor der Naturalis historia, und dessen Neffen, den Politiker Plinius den Jüngeren (61/62–um 114 n. Chr.). Zum ethischen Diskurs gehört aber nicht nur die Thematik des verantwortungsvollen Umgangs mit dem Wissen (Plinius d. Ä.) und der Macht (Plinius d. J.), sondern auch die Verantwortung für die nächste Generation. Man betrachte das Verhalten des alten Lehrers Plin angesichts der von der Stadtverwaltung schließlich angeordneten Deportation der wilden Hunde: „Der weise alte Hund beruhigte die Welpen, man fahre an einen schönen Ort, wo es Futter gebe und klares kühles Wasser aus Leitungen.“ (WH 173) Darf man Kinder anlügen? Wie der Arzt und Pädagoge Janusz Korczak (1878–1942) seine Kinder nach Treblinka begleitet, so steigt Plin mit seinen Welpen auf den Lastwagen.

Zu 3.: Psychologie ist allgegenwärtig in Kraussers Geschichte. Mit dem ge­walttätigen „Es“, das seit zweitausend Jahren in einer Bleikammer in „Unterird“ eingeschlossen ist, wird Freud geradezu zitiert (vgl. WH 217); auch „Der Prozess der Zivilisation“ (Norbert Elias) wird hier thematisch. Aber der psychologische Diskurs wird auch noch anders geführt. Im Lauf der Hand­lung stellt sich heraus, dass Diktator Ferox früher ein ängstlicher Hund war. Die Viper Clabauta, deren Biss Kaffeekanne als Welpe zu vier Fünfteln überlebt hat (vgl. WH 75 – wie Harry Potter den Angriff Voldemorts), erzählt mit einiger Süffisanz die Geschichte seiner Heldwerdung: „Er sagte, er wolle ein anderer sein. Er haßte sich.“ (WH 78). Zum brutalen Machthaber, der nichts und niemanden fürchtet, avanciert er erst nach seiner Rückkehr aus einer ominösen Fledermaushöhle. Die Dunkelheit dort hat alle Angst von ihm „weggefressen“ (WH 80). Anführer kann er sein, und alle Kämpfe auf dem Weg dorthin konnte er gewinnen, weil er keine Angst mehr kennt. Er kann die Angst nun funktiona­lisieren, sie ist auf seiner Seite; seine ganze Herrschaft beruht darauf. (Sein Vorfahr ist, am Anfang der animal fantasy als Genre, General Woundwort in Watership Down.) Macht ist mehr als zur Hälfte Psychologie. Ferox hat damit aber auch einen lebenserhaltenden Instinkt eingebüßt: Selbst angesichts der offenkundigen Übermacht der nach Pompeii wieder einrückenden Hunde flieht er nicht und wird getötet.

Zu 4.: Die von den „Besserwölfen“ verachteten und auch von anderen Hunden gemiedenen Füchse unter ihrer Anführerin Vespa sind das ‛Andere’, ‛Fremde’ in der Gesellschaft von Pompeii. Sie laufen gleichsam ohne Staatsbürgerschaft in der Hundheit und ohne offizielles Bleiberecht, aber auf der Basis einer Art amtlicher Duldung herum. Im Lauf der Handlung stellen sie sich aber als Träger uralter Weisheit heraus: Kaffeekanne und Saxo, die auf der Suche nach der vom alten Plin empfohlenen „Villa der Mysterien“ auf Vespa treffen, klärt diese darüber auf, dass das alte Gebäude in Sichtweite nicht die richtige Villa sei; „die andere, wahre, trügen wir bei uns, wie auch, teilweise, in uns“ (WH 134). Erst wer sie gefunden und betreten habe, sei erwachsen (vgl. WH 135). In der Tat durchleben die beiden jungen Hunde gerade ihre Adoleszenz. Saxo, der Kaffeekanne etwas voraus ist, entdeckt vor diesem die Sexualität: „[E]r beobachtete Calista auf eine ganz und gar schamlose Weise, er schnupperte gierig und verdrehte die Augen.“ (WH 125) In Form der von der Viper gesammelten Giftpilze nehmen sie Drogen und haben ein psy­chedelisches Erlebnis (vgl. WH 136–139). Weder die Wissensschule des alten Plin noch der Kasernenhof des Ferox hat sie etwas gelehrt, was ihnen jetzt helfen könnte; die Füchsin war es. „Erwachsen zu werden war spektakulär“ (WH 136). Im Übrigen greift auch die Schlange Clabauta mehrfach hilfreich ein. In aller Vorsicht kann man folgern: Als interkulturelle bietet die tierische Gesellschaft von Pompeii einer nachwachsenden Generation mehr Lern- und Entfaltungs­chancen. Interkulturalität bietet einen Mehrwert an Weltwissen und kultureller Vielfalt. Der dem Kioskbesitzer entlaufene zahme Hund Vitello entdeckt später die von ihrem Stamm als Anführerin verstoßene Füchsin als Partnerin.

Zu 5.: Unterricht bei Plin umfasst „Draußenkunde, Ortskunde, Menschenkunde, Hundekunde“ und, etwas weiter im Curriculum, „Früher- und Ganzfrüherkunde“ (vgl. WH 22). Der Unterricht, den später Ferox erteilt (vgl. WH 53), ist anderer Art; die Fächer heißen „Kraft, Schnelligkeit, Kampfkunst, Disziplin und Ausdauer“. Hinzu kommt (möglicherweise als Reminiszenz an William Goldings Lord of the Flies, 1954) „Chorgesang“. Ein wichtiges Grundmotiv der animal fantasy, das des Aufwachsens und der Sozialisation, wird hier aufgenommen und amüsant parodiert. Unter dieser parodistischen Oberfläche wird allerdings durchaus ernsthaft ein pädagogischer Diskurs geführt. Wie lernt ein junger Hund, was er zum (Über-)Leben braucht? Durch Beobachtung und Nachahmung (z. B. wie die hübsche Hündin Calista eine Blume ins Maul nehmen, um die Touristen zu betören)? Durch das Gespräch mit Plin, der das Weltwissen der Alten belehrend weitergibt (z. B. darüber, „was Touristen sind“ [WH 22])? Durch Erzählungen (z. B. indem der fahrende Hunde-Sänger Valta den Ursprungsmythos von Vesuvius und Vesuvia erzählt [vgl. WH 32–34])? Oder durch Abrichtung (z. B. wenn Ferox, weil Hunde Eidechsen verachten, Eidechsenfressen anordnet [vgl. WH 54 f.])? Die Geschichte der Pädagogik, vom sokratischen Gespräch bis zum Behaviorismus, ist darin im hegelschen Doppelsinn aufgehoben.

Zu 6.: Die erwähnte Analyse des Textes als Monomythos-Parodie (Ecker 2009) lässt bereits die darin implizierte Auseinandersetzung Kraussers mit der wahrnehmungsprägenden Rolle der Medien erkennen. Aber auch zur Stellung der Literatur und ihrer Medien im kulturellen Gedächtnis positioniert sich der Text nur an der Oberfläche parodistisch. „Es gibt keine wahren Geschichten.“, sagt Clabauta apodiktisch. „Was existiert, ist das eine, was darüber erzählt wird, das andere.“ (WH 81) Das ist schon beinahe eine (de-)konstruktivistische Theorie der Medien. Homer, der „blinde Sänger“, ist einer (zweifellos also unwahren) Geschichte des fahrenden Valta zufolge eine Schöpfung der Götter, die es seinerzeit leid waren, dass niemand außer ihnen imstande sei, „[n]eue Welten zu erschaffen“ (WH 239).

Zu 7.: Auch hinsichtlich eines Diskurses über den Prozess der Zivilisation lässt sich eine parodistische Oberfläche (z. B. die tödliche „Kolmonox“-Höhle, die die Helden auf ihrem Weg zur Rettung ihrer Welt nicht passieren können, vgl. WH 225) von einer darunter liegenden Schicht ernsthafter Auseinandersetzung unterscheiden. Diese wird v. a. deutlich in der Differenz der wilden (jagenden) Hunde und der zahmen, fett und bequem gewordenen Hunde vom Typ Vitello T.: Dazwischen stehen die herrenlosen, aber von der Zivilisation (konkret von den Gaben und Abfällen der Touristen) lebenden Hunde von Pompeii. Die Welt der Menschen, die anpassungswilligen und anbiederungsfähigen Hunden ein Auskommen bietet, wird aber gleichzeitig in ihrer Ausbeutungsmentalität gezeigt: Die Hundefänger kommen immer montags, um Nachschub für ihre (verbotenen, aber florierenden) Gladiatorenkämpfe einzusammeln. Die Hunde­würde wird dabei mit Füßen getreten. Wie eng das Schicksal der Hunde seit zweitausend Jahren mit der menschlichen Zivilisation verknüpft ist, zeigen die „Geisterhunde“, die die Handlung mit distanzierten Kommentaren begleiten. Ähnlich wie die intelligenten Riesenfaultiere in Isabel Allendes Die Stadt der wilden Götter (2002) beweisen sie ihre höhere Einsicht gerade darin, dass sie sich aus den Händeln derer heraushalten, die die Erde so zahlreich bevölkert haben, dass sie sich gegenseitig im Weg sind. Imaginiert man eine archaische, friedliche Tierart von höherer Intelligenz – wie z. B. auch die Drachen in Cornelia Funkes Drachenreiter (1997) –, so zeigt sich schnell: Im Anthropozän haben sie keine Chance.

5. Resümee

Krausser erzählt nicht nur eine spannende, witzige Geschichte, sondern er lässt auch Geschichte (als Geistes-, Kultur- Politik-, und Naturgeschichte) Revue passieren. Parodien auf einige Genrekonzepte, darunter das vor allem den Film prägende des Monomythos, liefert er nebenbei; der Text erschöpft sich aber darin nicht. Überspitzt könnte man sagen, es gehe Krausser in dieser „Geschichte“ um nichts Geringeres als die Vor- und Frühgeschichte des Anthropozän: Ist es im Altertum noch der Vesuv, der Pompeii auslöscht, also die Natur, so können Kraussers nach „Unterird“ abgestiegene hündische Helden die „Wanderbeben“, die sich erneut unter dem Vulkan gefährlich versammelt haben, zum Abzug bewegen; aber eine Lösung ist das nicht. Natur als dem Menschen fremd gegenüberstehende Größe gibt es im Anthropozän ohnehin nicht mehr. Die wahre Katastrophe ist die menschliche Natur.

Wie alle animal fantasy nutzt Die wilden Hunde von Pompeii Tierfiguren in doppelter Weise: als Spiegel menschlicher Kultur und Barbarei und als Träger einer radikal anderen, sozusagen anthropo-exzentrischen Sicht auf die Welt: „the animals serve as mirrors or models of human behaviour, but at the same time they are also true animals in their own right“ (Swinfen 1984, 43).

Parodistisch ist Kraussers Text allerdings am Ende auch in Bezug auf das Genre der animal fantasy, dessen Erzählkonventionen und charakteristische Motive (Macht, Herrschaft und Freiheitskampf, Rivalität der Tierarten und Xenophobie, Angst und Mut, Verhältnis zum Menschen) er bündelt und durch eine zwischen Komik und Tragik changierende Drastik der Darstellung überbietet. Ohne dafür die Spannungs- und Unterhaltungsfunktion zu opfern, die das Genre auszeich­net, nutzt Krausser es, um im Modus der Fantastik Perspektiven auf drängende Probleme des Anthropozän zu eröffnen.

Anhang

Autor, Titel (Publikationsjahr), ggf. Übersetzung

Tierfigur(en) Handlung

Lagerlöf, Selma: Nils Holgerssons underbara resa genom Sverige (1907). Dt. von Gisela Perlet: Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen. Stuttgart 2011.

Gänse

Der 14-jährige Bauernjunge Nils wird zur Strafe für einen bösen Streich von einem Wichtelmännchen in seinesgleichen verwandelt. Mit dem zahmen Gänserich Martin zusammen schließt sich der winzige Nils den Wildgänsen auf ihrem Zug nach Lappland an. Er lernt ganz Schweden kennen, erlebt gefährliche Abenteuer, muss sich oft in moralischen Fragen entscheiden und bewährt sich dabei, so dass er am Ende wieder ein Mensch werden darf.

Salten, Felix: Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde. Berlin 1923

Rehe

Ein Rehkitz wächst heran, lernt von den älteren Rehen, gerät mehrmals in Lebensgefahr, wird von einem Jäger angeschossen, bewährt sich und beerbt schließlich seinen Vater als „Prinz des Waldes“.

Milne, Alan Alexander: Winnie the Pooh (1926). Dt. von Harry Rowohlt: Pu der Bär. Hamburg 1999.

Bär, Esel, Tiger, Känguru, Eule

Im Hundert-Morgen-Wald leben die Freunde des Menschenkindes Christopher Robin, die unterschiedliche menschliche Züge verkörpern und zusammen verschiedene Abenteuer erleben.

Adams, Richard: Watership Down (1972). Dt. von Egon Strohm: Unten am Fluss. Frankfurt/M. 1975.

wilde Kaninchen

Aus einem Kaninchenbau flüchten einige Bewohner vor den Menschen, weil der junge Fiver eine apokalyptische Vision hatte. Tatsächlich wird der Bau ausgeräuchert und die verbleibenden Bewohner werden getötet. Am Ende einer langen Wanderschaft, die im Kampf gegen einen Diktator gipfelt, finden die Flüchtlinge einen besseren Ort zum Leben.

Horwood, William: Duncton Wood (1979). Dt. von Karin Polz: Der Stein von Duncton. Stuttgart 1984 [Bd. 1 der Reihe Duncton Chronicles].

Maulwürfe

Die Maulwürfe von Duncton, die das zu weit oben am Berg gelegene „alte System“ vor langer Zeit aufgegeben haben und nur noch einmal im Jahr zum Mitsommerfest am gro­ßen Stein hinaufklettern, werden vom bru­talen Mandrake einer zynischen Herrschaft unterworfen, die mit allen Traditionen bricht. Der Jungwurf Bracken, schwächlich aber intelligent, wächst mit Hilfe des uralten Hulver zum Verteidiger der alten Werte heran. Unterstützt wird er von Rebecca, der Tochter des Diktators.

Shipton, Paul: Bug Muldoon and the Garden of Fear (1995). Dt. von Andreas Steinhöfel: Die Wanze. Ein Insektenkrimi. Frankfurt/M. 1997.

Wanzen, Ameisen, Wespen

Wanze Muldoon ist Privatdetektiv. Als er den Auftrag erhält, eine Gruppe separatis­tischer Ameisen, die den gesamten Ameisenstaat in Aufruhr versetzt, ausfindig zu machen, muss er seinen ganzen Spürsinn aufbieten. Dabei stößt er auf geheime Verbindungen zwischen Ameisen und Wespen, von denen allen im Garten lebenden Insekten große Gefahr droht.

Oppel, Kenneth: Silver Wing (1997). Dt. von Klaus Wei­mann: Silberflügel. Weinheim 2004 [Bd. 1 der Bat Trilogy].

Fledermäuse, Ratten, Tauben

Die Fledermauskolonie der Silberflügel zieht sich den Zorn der gefürchteten Eulen zu, deren Gesetz (niemals nach Sonnenaufgang draußen sein) ein Junge namens Schatten gebrochen hat. Ihren Baumhort brennen die Eulen nieder, weil die Älteste der Kolonie den Jungen nicht herausgeben will. Während des gefährlichen Zugs nach Süden ins Winterquartier bewährt sich dann Schatten im Kampf gegen kannibalische Riesenfledermäuse, die aus einem Zoo ausgebrochen sind.

Kilworth, Garry D.: Thunder Oak (1997). Dt. von Irene Bonhorst: Sucht die Donnereiche. München 2005 [Bd. 1 der Reihe Gewiefte Wiesel].

Hermeline, Wiesel, Ratten

Auf einer menschenverlassenen Insel herr­schen die Hermeline. Eine Gruppe gesetzlo­ser Wiesel um den gewieften Sylber lehnt sich gegen sie auf. Als die Dämme der Insel zu brechen drohen, fassen die Wiesel den tollkühnen Plan, die Menschen zu Hilfe zu holen.

Brown, Rita Mae: Pawing Through the Past (2000). Dt. von Margarete Längsfeld: Rache auf leisen Pfoten. Frankfurt/M. 2001.

Katzen, Hund

In der Kleinstadt Crozet sind mehrere Morde aufzuklären, die alle mit einem Ehemaligentreffen der High School zu tun haben; so wird ein unbeliebter Weiberheld erschossen. Die Katzen Mrs. Murphy und Pewter sowie der Hund Tucker sind an der Aufklärung des Falles entscheidend beteiligt.

Brown, Rita Mae: The Hunt Ball (2005). Dt. von Margarete Längsfeld: Dem Fuchs auf den Fersen. Frankfurt/M. 2009.

Hunde, Füchse

Als beim Halloweenball ein Mitglied des Reiterballs tot aufgefunden wird, nimmt Sister Jane, die Vorsitzende des Jagdvereins, wie gewohnt die Spur auf. Ihr zur Seite stehen die Rot- und Graufüchse um Inky und Charlene und die Leithunde um Diana.

Hunter, Erin: Into the Wild (2003). Dt. von Klaus Wie­mann: In die Wildnis. Wein­heim 2008 [Bd. 1 der Warrior Cats-Reihe].

wilde Katzen, Hauskater, Ratten, Füchse

Ein junger Hauskater wird von einem der vier wilden Katzenclans, die um die Vorherr­schaft im Wald streiten, als Kämpfer rekrutiert; er erlebt seine Verwandlung in das Clanmitglied „Feuerpfote“ als Rückkehr zu seiner eigentlichen Bestimmung. Als ein anderer Clan mit Hilfe von Traditionsbrüchen Jagdrechte für die ganze Welt durchsetzen will und auch vor Vertreibung nicht zurückschreckt, ist die Stunde der Bewährung gekommen.

Krausser, Helmut: Die wil­den Hunde von Pompeii. Eine Geschichte. Reinbek bei Hamburg 2004.

wilde Hunde, Füchse, Fledermäuse, Schlange

Ein Welpe wächst unter den wilden Hunden auf, die in den Ruinen von Pompeii leben; von seinem Erzieher, dem alten Hund Plin, wird er irrtümlich Kaffeekanne getauft (cave canem). Er gerät zwischen die Fronten: Eine Gruppe bettelt die Touristen an, eine andere, die sich outlaws nennt, bekämpft dieses Verhalten und macht lieber Jagd, z. B. auf wilde Füchse. Ihr Anführer (Ferox) ist ein grausamer Diktator, den Kaffeekanne mit Hilfe neu gewonnener Freunde und magi­scher Mittel am Ende besiegt.

Funke, Cornelia: Drachen­reiter. Hamburg 1997.

Drachen, Ratten

Die Silberdrachen (echsenähnliche, intelli­gente und gutartige Lebewesen) sind nahezu ausgestorben; eine der letzten Gruppen muss ihre Zuflucht, ein schottisches Tal, verlassen und will den legendären „Saum des Him­mels“ (Himalaja) erreichen. Die Helden (der junge Drache Lung, der Menschenjunge Ben und das Koboldmädchen Schwefelfell) helfen ihnen dabei, wobei sie in große Gefahr geraten. Ihr Hauptgegner ist der von einem Alchemisten erschaffene künstliche Drache Nesselbrand.

Allende, Isabel: La ciudad de las bestias (2002). Dt. von Svenja Becker: Die Stadt der wilden Götter. Frankfurt/M. 2002.

Riesenfaul­tiere

Die Jugendlichen Alexander (Enkel einer National Geographic-Reporterin) und Nadia (Tochter eines einheimischen Führers) sind an einer Expedition in den Amazonas-Dschungel beteiligt, auf der hochintelligente Tiere entdeckt werden, die aussehen wie Riesenfaultiere. Die beiden Jugendlichen entdecken unterwegs ihre von indianischen Totemtieren herrührende Identität als Jaguar und Adler.

Literatur

WH = Helmut Krausser: Die wilden Hunde von Pompeii. Eine Geschichte. Reinbek bei Hamburg 2004.

Abraham, Ulf: Fantastik in Literatur und Film. Eine Einführung für Schule und Hochschule. Berlin 2012.

Bonacker, Maren (Hg.): Peter Pans Kinder. Doppelte Adressiertheit in phantastischen Texten. Trier 2004.

—: Writing for children of all ages. Wenn Kinderbücher Grenzen sprengen. In: Dies. (Hg.): Das Kind im Leser. Phantastische Texte als all-ages-Lektüre. Tagungsband zum wissenschaftlichen Symposium „Pinocchios Freunde“, 7. bis 9. Mai 2004. Trier 2007, S. IX–XV.

— (Hg.): Hasenfuß und Löwenherz. Tiere und Tierwesen in der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur. Wetzlar 2011.

Copeland, Marion: Crossover Animal Fantasy Series: Crossing Cultural and Species as Well as Age Boundaries. In: Society & Animals (Leiden) 11 (2003), H. 3, S. 287–298.

Crutzen, Paul J.: Geology of Mankind. In: Nature 415 (2002), H. 3, S. 23.

Ecker, Hans-Peter: Figuren- und Handlungsdesign als Parodie des so genannten Monomythos. Helmut Kraussers Die wilden Hunde von Pompeii. In: Claude D. Conter u. Oliver Jahraus (Hg.): Sex – Tod – Genie. Beiträge zum Werk von Helmut Krausser. Göttingen 2009, S. 197–209.

Elias, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation. 2., um eine Einleitung vermehrte Aufl. Bern/München 1969.

Jahraus, Oliver u. Bettina von Jagow: Kafkas Tier- und Künstlergeschichten. In: Dies. (Hg.): Kafka-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Göttingen 2008, S. 530–552.

Keller, Reiner: Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms. 2. Aufl. Wiesbaden 2008.

Stone, James S.: The Rabbitness of Watership Down. In: English Quarterly 13 (1980), S. 37–46.

Swinfen, Ann: In defense of fantasy. A study of the genre in English and American literature since 1943. London 1984.

Wünsch, Marianne: Die fantastische Literatur der Frühen Moderne (1830-1930). Definition – Denkgeschichtlicher Kontext – Strukturen. München 1991.